Fragile Mitte! Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2014
Die Friedrich-Ebert-Stiftung hat im November die repräsentative Studie "Fragile Mitte - Feindselige Zustände" veröffentlicht, die sich mit rechtsextremen Einstellungen in Deutschland beschäftigt. Die Ergebnisse bieten unter Anderem interessante Erklärungsmuster für die aktuellen Entwicklungen.
Wir übernehmen die Auswertung von www.netz gegen nazis.de
Die folgenden Daten stammen aus der Studie: Andreas Zick/ Anna Klein: Fragile Mitte - Feindselige Zustände. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2014.
Sechs Dimensionen rechtsextremer Einstellungen
Im Rahmen der Studie wurden 1.915 repräsentativ ausgewählte Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit im Alter von 16-95 Jahren befragt. Der Altersdurchschnitt betrug 49,9 Jahre.
Zur Ermittlung der rechtsextremen Einstellungen in der Bevölkerung, wurden diese in sechs Dimensionen unterteilt:
+ Befürwortung Diktatur
+ Chauvinismus
+ Ausländerfeindlichkeit
+ Antisemitismus
+ Sozialdarwinismus
+ Verharmlosung des Nationalsozialismus
Verbreitung rechtsextremer Einstellungen
Durch einen Fragebogen wurden die Zustimmungswerte zu den jeweiligen Dimensionen ermittelt. Die Ergebnisse sind in Teilen besorgniserregend:
+ 23% Zustimmung: „Was Deutschland jetzt braucht, ist eine einzige starke Partei, die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert.“
+ 11% Zustimmung: „Wir sollten einen Führer haben, der Deutschland zum Wohle aller mir starker Hand regiert.“
+ 36% Zustimmung: „Wir sollten endlich wieder Mut zu einem starken Nationalgefühl haben.“
+ 18% Zustimmung: „Die Bundesrepublik ist durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet.“
Vergleich von rechtsextremen Einstellungen in verschiedenen Bevölkerungsgruppen
Ost/West-Vergleich
+ Rechtsextreme Einstellungen sind nach wie vor häufiger bei Personen, die in Ostdeutschland aufgewachsen sind.
+ Der größte Unterschied besteht bei der Dimension Ausländerfeindlichkeit (6,8% im Westen, 10,6% im Osten).
Vergleich nach Geschlechtern
+ Kaum größere Unterschiede bei der Zustimmung zum Rechtsextremismus nach Geschlecht.
+ Einzig die Ausländerfeindlichkeit ist bei den Frauen (10,6%) signifikant häufiger als bei den Männern (6,8%).
Vergleich nach Altersgruppen
+ Personen im mittleren Alter (31-60) stimmen rechtsextremen Einstellungen am seltensten zu.
+ Chauvinismus, Ausländerfeindlichkeit und Antisemitismus ist bei der Gruppe der über 60jährigen am häufigsten verbreitet.
+ Befürwortung einer Diktatur und Verharmlosung des Nationalsozialismus sind am häufigsten bei der Gruppe der 16-30jährigen.
+ Die Unterschiede zwischen der jüngsten und der ältesten Altersgruppe sind jedoch eher gering.
Sozioökonomische Selbstverortung
+ Die Zustimmung zu rechtsextremen Einstellungen ist bei Person die sich selbst in der sozioökonomischen Mitte verorten würden am geringstes, bei Personen die sich selbst der Unterschicht zugehörig fühlen, am höchsten.
+ Auffällig sind die im Vergleich zur Mitte deutlich höheren Zustimmungswerte bei den Befragten die sich selbst oben einordnen würden.
Politische Selbstverortung
+ Die Zustimmung zu rechtsextremen Einstellungen ist, wie zu erwarten war, bei Personen die sich selbst ins politisch rechte Spektrum einordnen würden am höchsten.
+ Die Ergebnisse zeigen jedoch, dass auch Personen die sich selbst in die politische Mitte verorten würden teilweise hohe Zustimmungswerte zu rechtsextremen Einstellungen aufweisen (z.B. 6,2% Ausländerfeindlichkeit).
Entwicklung von rechtsextremen Einstellungen
+ Insgesamt sind 2014 die Zustimmungswerte zu allen Dimensionen rechtsextremer Einstellungen geringer als im Jahr 2012, mit Ausnahme der Zustimmung zur Diktatur (2012: 3,5% 2014: 4,1%)
+ Besonders auffällig ist die stark rückläufige Zustimmung zu ausländerfeindlichen Aussagen (2012: 25,1%, 2014: 7,5%).
+ Auch chauvinistische (von 19,4% auf 12,1%) und antisemitische (von 8,6 auf 3,2%) Einstellungen sind stark zurückgegangen.
+ Mit Blick auf den Antisemitismus haben jedoch weniger die klassischen judenfeindlichen Vorurteile, sondern mehr sekundär antisemitische Einstellungen und Aussagen, die sich einer Dämonisierung Israels bedienen, besonders hohe Zustimmungswerte erfahren.
Auswirkungen rechtsextremer Einstellungen auf das Verhalten
Zustimmung zu rechtsextremen Einstellungen nach Parteipräferenz
+ Die deutlichsten Zustimmungswerte gibt es selbstverständlich bei Wählern der NPD.
+ Es existieren jedoch auch bei Wählern der AfD überdurchschnittlich hohe Zustimmungswerte zu chauvinistischen (41,2%) und ausländerfeindlichen Aussagen (15,9%), sowie zu Aussagen, die den Nationalsozialismus verharmlosen (14,3%).
+ Auffällig hohe Zustimmungswerte gibt es zudem in der Gruppe der Nichtwähler. Diese sind daher potentiell für rechtspopulistische Mobilisierung erreichbar.
+ Auch bei Wählern anderer Parteien gibt es deutliche Zustimmung zu einigen rechtsextremen Dimensionen. So stimmen zum Beispiel 9% der CDU/CSU Wähler, 4,5% der SPD Wähler und sogar 10% der FDP Wähler ausländerfeindlichen Aussagen zu.
Gewaltbilligung und Gewaltbereitschaft
+ Knapp 14% der Befragten sind der Meinung, dass Gewalt gegen politische Verantwortliche unter Umständen gerechtfertigt sein kann.
+ Gewalt gegen Einwandere halten 12% der Befragten für gerechtfertigt.
+ 15% der Befragten wären bereit, sich mit Gewalt gegen Fremde durchzusetzen.
+ Insgesamt ist davon auszugehen, dass mehr als 10% der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland offen Gewalt billigen und/oder selbst dazu bereit wären, Gewalt anzuwenden.
Vergleicht man die Gewaltbilligung und Gewaltbereitschaft der Personen die rechtsextremen Aussagen zustimmen, mit dem Gewaltpotential derer, die diese Aussagen ablehnen, so kann man für alle Dimensionen rechtsextremer Einstellungen eine hohe Affinität zu Gewaltbilligung und Gewaltbereitschaft feststellen:
+ So sind etwa Personen, die eine Diktatur befürworten, mehr als dreimal so gewaltbereit, wie Personen, die eine Diktatur ablehnen (30,3 zu 8,7%).
+ Personen mit antisemitischer Einstellung billigen Gewalt fast siebenmal häufiger, als nicht antisemitisch eingestellte Befragte (28,8% zu 4,4%).
+ Personen mit ausländerfeindlicher Einstellung billigen Gewalt fast sechsmal häufiger (27% zu 4,7%), und sind über viermal häufiger dazu bereit, Gewalt selbst anzuwenden (34,1% zu 7,8%).
Rechtsextremismus in der Wahrnehmung der Bevölkerung
+ Rechtsextremismus wird von fast 87% der Befragten als Bedrohung wahrgenommen, allerdings sind über 50% der Meinung, das Problem würde in den Medien zu hochgekocht.
+ Nur etwa die Hälfte der Befragten fühlt sich persönlich dafür verantwortlich, etwas gegen Rechtsextremismus zu tun.
+ Ebenfalls die Hälfte ist der Meinung, es sei am besten die Rechtsextremen zu ignorieren.
+ 80% halten es für dringend notwendig, etwas gegen Rechtsextremismus zu unternehmen.
Vergleicht man die Ergebnisse für die verschiedenen Altersgruppen, so erkennt man deutliche Unterschiede:
+ So nimmt die jüngere Altersgruppe (16-30) den Rechtsextremismus am wenigsten als Bedrohung wahr (7,3%) und hält es für am wenigsten dringend etwas gegen den Rechtsextremismus zu unternehmen (12,3%).
+ Die älteste Gruppe (60+) nimmt zwar den Rechtsextremismus am ehesten als Bedrohung wahr (73,4%) fühlt sich jedoch auch am wenigsten persönlich dafür verantwortlich etwas dagegen zu unternehmen (21,9%).
+ Vor allem die mittlere Altersgruppe (31-60) ist der Ansicht, der Rechtsextremismus würde in den Medien hochgekocht (28,4%).
Zusammenfassende Erkenntnisse
Die Studie von 2014 zeigt, dass rechtsextreme Einstellungen in Deutschland klar zurückgehen. Der vergleichsweise hohen Teilnehmerzahlen der Pegida-Demonstrationen in den vergangenen Wochen, sind demnach nicht repräsentativ für die allgemeine Stimmung in der Bevölkerung. Als mögliche Begründung für die rückläufigen Zahlen wird das Bekanntwerden des rechtsextremen Terrors im Jahr 2011, und die die dadurch ausgelöste öffentliche Debatte angeführt. Des Weiteren, so heißt es, scheinen die Bemühungen zahlreicher Initiativen, Stiftungen und Projekte der politischen Bildung normativ zu wirken. Das alles ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass die weitverbreiteten rechtsextremen Einstellungen und Ressentiments nach wie vor ein ernstzunehmendes, gesamtgesellschaftliches Problem darstellen - nicht zuletzt vor dem Hintergrund der deutlich höheren Gewaltbereitschaft bei Menschen mit rechtsextremen Positionen.
Es ist bemerkenswert, dass 25 Jahre nach dem Mauerfall, Rechtsextremismus, und im Speziellen, Ausländerfeindlichkeit nach wie vor im Ostdeutschland mehr Zuspruch als in Westdeutschland erfährt. So war das Epizentrum der Pegida-Bewegung nicht umsonst in Sachsen. Die Autoren sehen eine Erklärung darin, dass der Ausländeranteil an der Gesamtbevölkerung im Osten wesentlich geringer ist, und daher weniger Möglichkeiten für interkulturellen Kontakt bestehen. Außerdem muss beachtet werden, dass die Unterschiede zwischen anderen Regionen, etwas Bundesländern oder wirtschaftlich stärkeren und schwächeren Regionen größer sind, als die Ost-West-Differenzen.
Durch die Befragung wird außerdem deutlich, dass rechtsextreme Tendenzen sowohl in der politischen, als auch in der sozioökonomischen Mitte am geringsten sind. Der gesellschaftliche Wandel, der mit einem Schrumpfen eben dieser Mitte einhergeht, kann also eine indirekte Gefahr für die Demokratie bedeuten. Das Aufkommen neuer rechter Parteien, die durch subtilere rechtspopulistische Positionen auf einen Stimmengewinn in der Mitte der Gesellschaft aus sind, stellt daher eine tatsächliche Bedrohung dar, und muss ernst genommen werden.
Betrachtet man die Wahrnehmung von Rechtsextremismus in der Bevölkerung, so stellt man fest, dass die Problematik mehrheitlich durchaus ernst genommen, und als bedrohlich eingestuft wird. Erwähnenswert ist hier allerdings vor allem die Tatsache, dass ebenfalls eine Mehrheit der Ansicht ist, das Problem würde in den Medien zu sehr hochgekocht. Die Zustimmung zu dieser Aussage, korreliert, so die Autoren, auch eindeutig mit einem rechtsextremen Überzeugungsmuster. Dieser Zusammenhang von Medienverachtung und Rechtsextremismus geht einher, mit dem allgemeinen Misstrauen in die Medien, dass in den vergangenen Wochen und Monaten im Pegida-Umfeld durch die abwertende Propagierung einer „Lügenpresse“ zum Ausdruck gekommen ist.
Es lässt sich zusammenfassen, dass die Studie trotz allerlei besorgniserregender Erkenntnisse, alles in allem Grund zum Optimismus bietet. So lange rechtsextreme Einstellungen in der Bevölkerung rückläufig sind, so lange befindet sich die Gesellschaft auf dem richtigen Weg – wenngleich es noch viel zu tun gibt.